Die Geheimnisse, die Chris McCandless in die Wildnis trieben by McCandless Carine

Die Geheimnisse, die Chris McCandless in die Wildnis trieben by McCandless Carine

Autor:McCandless, Carine [McCandless, Carine]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2017-02-07T23:00:00+00:00


AN DEN FLUG AUS WASHINGTON, D. C., heraus erinnere ich mich kaum, ebenso wenig an die Anschlussflüge, die uns schließlich nach Alaska brachten. Ich weiß nur noch, wie ich dachte, ein einzelner Bundesstaat muss schon gigantisch groß und weit abgelegen sein, dass eine gesamte Fluglinie nach ihm benannt wird. In Fairbanks fuhren wir zuerst zur Gerichtsmedizin. Ich hatte bis dahin noch nie mit den Formalitäten rund ums Sterben zu tun gehabt, und der ganze Vorgang in der Behörde verlief unfeierlicher, als ich es erwartet hatte. Die Gerichtsmedizinerin ließ uns ihr gegenüber am Schreibtisch Platz nehmen. Ihre lässige Outdoor-Kleidung und das rustikale Ambiente des Büros erzeugten eine angenehme Atmosphäre.

Sie händigte uns die persönlichen Gegenstände aus, die bei Chris’ Leiche gefunden worden waren, darunter ein Gewehr Kaliber 22, ein Feldstecher, eine Angel, ein Schweizer Armeemesser, ein Pflanzenkundebuch mit knappen Tagebucheinträgen von Chris, seine Minolta-Kamera, die Fotos, die von den Troopers entwickelt worden waren, um die Leiche zu identifizieren, fünf noch unentwickelte Filme und diverse abgenutzte und zerfledderte Taschenbücher. Einen Brief mit einer Nachricht für mich gab es nicht.

Ein wenig schockiert war ich beim Anblick des Gewehrs. Ich war einer Schusswaffe noch nie so nahe gekommen und hatte nicht gewusst, dass Chris eine besaß. Die Bücher und das Tagebuch dagegen waren so typisch für meinen geliebten Bruder, dass ich spürte, wie das Lächeln zurückkehrte, zu dem mein Gesicht die letzten drei Tage nicht fähig gewesen war. Neben Walden von Henry David Thoreau und Boris Pasternaks Doktor Schiwago war unter der Lektüre auch leichtere Kost wie Michael Crichtons Endstation und sogar etwas von Louis L’Amour.

Chris las gerne und konnte sich genauso begeistert in tiefsinnig Philosophisches wie in einen kurzweiligen Westernroman vergraben. Als Junge hatte er ein blaues Bücherregal, auf dem seine Sammlung der Hardy-Boys-Krimis ordentlich sortiert war. Auch Ray Bradbury liebte er damals. Wenn ich dann Unsere kleine Farm oder Black Beauty las, sah er von Bradburys Ferner Donner auf, um mir zu sagen, dass bereits ein so einfacher Akt wie das achtlose Treten auf einen Schmetterling die Zukunft der gesamten Menschheit verändern kann. »Alles, was wir tun, beeinflusst alles«, erklärte er ernst. Anschließend schmökerte er sich dann durch ein Kinderbuch wie Sein Freund Jello und warf es mir zum Lesen zu, sobald er fertig war.

Die Gerichtsmedizinerin teilte uns verschiedene Dinge mit. Ich hielt den Kopf aufrecht und sah, wie sich ihre Lippen bewegten, aber ihre Sätze ergaben wenig Sinn für mich. Nur ein paar Wörter zerschnitten die Luft wie ein Skalpell: »Verhungert«, »dreißig Kilo«, »Verwesung«, »Autopsie«, »Einäscherung«. Ihre Beschreibung von etwas, das sich Stampede Trail nannte, und von einem verlassenen Bus verwirrte mich nur noch mehr. Und auch wenn die Gerichtsmedizinerin in betont freundlichem und einfühlsamem Ton sprach, war das Ganze für sie doch eindeutig Routine. Mein konfuses Hirn verlor sich in Grübeleien. Ich konnte mir nicht vorstellen, selbst so einen Job zu machen, aber vermutlich verschaffte es ihr eine gewisse Befriedigung, Familien bei der Klärung der Todesumstände zu helfen und ihnen damit einen weiteren Schritt bei der Verarbeitung zu ermöglichen. Während sie weitersprach, konzentrierte ich mich auf das Namensschild auf ihrem Schreibtisch: Arlys Borjesson.



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